Wer in einem Wiener Traditionsbetrieb einkehrt, nimmt nicht nur ein Essen zu sich, sondern wird Teil einer langen Geschichte, die mitserviert wird. Doch diese Häuser, die seit Jahrzehnten oder gar Jahrhunderten den Takt des städtischen Lebens mitbestimmen, stehen vor neuen Herausforderungen: Digitalisierung, veränderte Gästebedürfnisse, der Kampf um gutes Personal. Wie gelingt es, die Seele der Tradition zu bewahren und dennoch im Heute anzukommen? Zwei Betriebe zeigen, wie unterschiedlich dieser Spagat aussehen kann und welche Rolle die Ausbildung des Nachwuchses dabei spielt.

Zur Herknerin: Ein Raum für die eigene Geschichte
Als Stefanie Herkner vor zwölf Jahren ihr Lokal eröffnete, war es kein klassisches Erbe, das sie antrat, sondern eine bewusste Neuschöpfung. In einem ehemaligen Installateursgebäude im vierten Bezirk gestaltete sie ihr eigenes Gasthaus – mit klarer Verbindung zur Familiengeschichte. Ihr Vater war eine Ikone der Wiener Küche, führte gemeinsam mit ihrer Mutter das legendäre Pichlmaiers zur Herkner im 17. Bezirk. „Ich war ein klassisches Wirtshauskind“, erinnert sie sich. „Eigentlich habe ich Kunstgeschichte studiert. Aber nach dem Tod meines Vaters habe ich nach einem Ort gesucht, an dem ich Tradition mit meiner persönlichen Handschrift verbinden kann.“ Das Zur Herknerin ist genau dieser Ort geworden. „Die Küche habe ich gar nicht modernisiert – da mache ich keine Kompromisse. Drumherum aber darf es offen sein, lebendig, verbunden mit meiner eigenen Note.“
Digitalisierung als Selbstverständlichkeit
Während manche Traditionshäuser zögern, war Digitalisierung für Herkner von Anfang an Teil des Konzepts:
Seit zehn Jahren habe ich ein Reservierungssystem, dazu Instagram und Facebook. Es ist einfach eine andere Form von Kommunikation. Früher hat man angerufen, heute erwarten die Gäste, dass man rund um die Uhr erreichbar ist. Da muss man sich anpassen.
Dieser Schritt habe nicht nur die Abläufe erleichtert, sondern auch neue Gästegruppen erschlossen. „Gerade jüngere Menschen entdecken uns oft über Social Media. Das ist ein ganz anderes Publikum, das dann aber hier denselben klassischen Schmäh erlebt wie alle anderen.“
Ausbildung und die junge Generation
Auch bei der Frage nach Nachwuchskräften hat Herkner eine klare Haltung. „Bei mir sind nur zwei von acht Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern klassisch ausgebildet. Mir ist Motivation wichtiger als Perfektion. Alles andere kann man lernen.“ Von jungen Teammitgliedern übernimmt sie vor allem eine andere Haltung: „Nicht immer alles langfristig planen, sondern mehr im Moment leben. Auch im Geschäft: weg vom Perfektionismus. Es geht auch anders, das Tempo ist ein anderes. Das hat mir die jüngere Generation beigebracht.“

Gastwirtschaft Blauensteiner: Persönlichkeit statt Klicks
Ein völlig anderes Bild zeigt die Gastwirtschaft Blauensteiner in der Josefstadt. Das Wirtshaus existiert seit 1900, seit 2009 wird es von Erich Lentsch geführt, der sein Handwerk einst bei Helmut Österreicher im Steirereck lernte. Sein Anspruch ist klar: die Tradition des gepflegten, dennoch preiswerten Wiener Wirtshauses lebendig zu halten. „Man kommt rein und weiß, was einen erwartet“, sagt er. Das spiegelt sich nicht nur in der Speisekarte wider – die bis heute werktags ein klassisches Mittagsmenü bietet –, sondern auch in der Gästestruktur. 75 Prozent sind Stammgäste, viele kommen seit Jahren, manche gar seit Jahrzehnten.
„Bei uns gibt es nur Telefonreservierungen“
Digitalisierung spielt hier kaum eine Rolle:
Wir haben nur Telefonreservierungen, nichts Digitales. Es muss persönlich bleiben, sonst verlieren wir die Leute.
Gerade in Zeiten, in denen viele Betriebe auf automatisierte Buchungen setzen, ist das ein klares Statement. Auch im Team setzt er auf Beständigkeit: „Unser Oberkellner ist seit 14 Jahren da. Diese Konstanz ist Teil unserer Tradition.“ Versuche mit sehr jungen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern hätten sich nicht bewährt. „Wir sind eher ein Betrieb, der Menschen aufnimmt, die in unser Gefüge passen. Das Persönliche ist uns wichtiger als alles andere.“
Zwei Wege, ein Ziel
Die beiden Betriebe könnten in ihrer Haltung zur Digitalisierung kaum unterschiedlicher sein. Während das Zur Herkner auf Social Media setzt und Gäste auch online abholt, bleibt das Blauensteiner bewusst beim klassischen Telefon. Doch beide Häuser eint das gleiche Ziel: eine Atmosphäre zu schaffen, die Gäste zurückkehren lässt- sei es wegen der familiären Geschichte, der beständigen Gesichter im Service oder der unveränderten Küche.
So wird deutlich, dass es nicht den einen Weg gibt, Tradition in die Gegenwart zu führen. Vielmehr zeigt sich ein Spannungsfeld: Manche interpretieren sie neu, andere bewahren sie streng – beide tragen aber dazu bei, dass Wien gastronomisch so vielfältig bleibt.

“Unsere traditionsreichen Wiener Gasthäuser sind lebendige Zeugen unserer Kultur – mit Herz, Geschichte und Persönlichkeit. Ob unter Einsatz von Digitalisierung oder nicht, im Vordergrund steht immer die Gastfreundlichkeit und die Zufriedenheit unserer Gäste!” – Mag. Dr. Thomas Peschta, Fachgruppenobmann der Fachgruppe Wien der Gastronomie
Zwischen Gestern und Morgen
Die Zukunft der Wiener Tradition liegt also weder im radikalen Fortschritt noch im reinen Festhalten am Alten. Sie liegt in der Balance. Gasthäuser wie das Zur Herkner oder das Blauensteiner verkörpern zwei Pole dieser Entwicklung und zeigen doch gemeinsam, wie lebendig die Wiener Wirtshauskultur bleibt.
Ob per Klick im Reservierungssystem oder durch ein vertrautes Telefonläuten: Am Ende geht es immer darum, dass Gäste sich willkommen fühlen. Und genau darin liegt die eigentliche Stärke der Wiener Gastronomie – in der Fähigkeit, Vergangenheit und Gegenwart so zu verbinden, dass daraus Zukunft entsteht.
Fotocredits Fachgruppenobmann: (c) Weinwurm Fotografie








































