Herr A. (Name der Redaktion bekannt) hatte mit seiner Frau einen besonderen Abend geplant. Zum Jahrestag wollten sie sich in einem Wiener Restaurant etwas gönnen. Doch die Freude wich Enttäuschung, als sie bemerkten, dass der Weg zur Toilette nur über mehrere Stufen zu erreichen war. Eine Rampe? Fehlanzeige. Ein Haltegriff? Nicht vorhanden. Für Herr A., der auf einen Rollstuhl angewiesen ist, bedeutete das: kein selbstständiger Zugang – und somit kein Besuch im Lokal.
Was für viele nur ein kleiner baulicher Mangel scheint, war für den Gast eine tiefgehende Kränkung. „Er wollte als Mann und nicht nur aufgrund seiner Behinderung wahrgenommen werden“, hielt das Gericht in seiner Entscheidung fest, wie in Der Standard vom 21. Mai 2025 berichtet wurde. Die beiden mussten den Abend absagen. Nicht, weil sie nicht wollten – sondern weil sie nicht durften.
Ein Gesetz, das nun Wirkung zeigt
Herr A. zog vor Gericht – gestützt auf das Behindertengleichstellungsgesetz. Dieses verpflichtet Betriebe seit dem Jahr 2006, barrierefreien Zugang zu gewährleisten. Das Bezirksgericht Leopoldstadt gab ihm recht, das Landesgericht für Zivilrechtssachen Wien bestätigte das Urteil: 1.000 Euro Schadenersatz für ihn, 700 Euro für seine Ehefrau. Denn auch sie wurde durch die Situation diskriminiert, als nahestehende Angehörige – ein rechtlich bisher wenig beachteter Aspekt. Laut dem Klagsverband zur Durchsetzung der Rechte von Diskriminierungsopfern, der den Kläger rechtlich unterstützte, handelt es sich um ein wegweisendes Urteil. Die Organisation betonte, dass Barrierefreiheit kein freiwilliges Angebot, sondern ein einklagbares Recht sei. Wenn dieses Recht nicht respektiert werde, müsse das – wie in diesem Fall – spürbare finanzielle Folgen haben.
Martin Ladstätter, Obmann von BIZEPS – Zentrum für Selbstbestimmtes Leben in Wien, äußert sich dazu in einer Presseaussendung. Für ihn ist das Urteil mehr als ein Einzelfall. Es ist ein deutliches Signal an alle Gastronomiebetriebe in Österreich: Wer Menschen mit Behinderungen ausschließt, handelt nicht nur unmoralisch, sondern gesetzeswidrig. Ladstätter macht klar: Barrierefreiheit ist keine freundliche Geste, sondern gesetzlich vorgeschrieben – und zwar seit fast zwei Jahrzehnten. Dass dennoch viele Betriebe diese Pflicht ignorieren, liegt nicht am Gesetz, sondern an der fehlenden Durchsetzung. Das aktuelle Urteil zeigt, dass sich das ändern kann – und muss.
Es reicht nicht, Gleichstellungsrechte im Gesetz zu verankern – man muss sie auch nutzen.
Martin Ladstätter, Obmann von BIZEPS – Zentrum für Selbstbestimmtes Leben
Barrieren, die mit wenig Aufwand fallen könnten
Im konkreten Fall hätte bereits eine einfache mobile Rampe gereicht, um den Zugang zum WC barrierefrei zu gestalten. Diese kostet wenig, erfordert keine baurechtlichen Genehmigungen und hätte das Problem vollständig gelöst. Wie berichtet wurde, war eine solche Rampe zum Zeitpunkt der Reservierung jedoch nicht vorhanden – und das Lokal unzugänglich. Theresa Hammer vom Klagsverband erklärt, dass sich viele Diskriminierungsfälle vermeiden ließen, wenn Betriebe proaktiv handeln würden. Sie betont, dass das Gesetz Ausnahmen nur in sehr wenigen Fällen vorsieht – etwa wenn ein Umbau wirtschaftlich völlig unzumutbar wäre. Doch gerade bei mobilen Lösungen gebe es in der Regel keine nachvollziehbaren Gründe für Untätigkeit.
Das Behindertengleichstellungsgesetz schreibt vor, dass vor einer Klage stets ein Schlichtungsverfahren versucht werden muss. In vielen Fällen wird dabei eine Lösung gefunden, sagt Hammer im Gespräch mit Der Standard. Doch wenn keine Einigung erzielt wird, bleibt nur der Gerichtsweg – und der ist mit einem hohen Kostenrisiko verbunden. Wer verliert, zahlt die Verfahrenskosten. Viele Betroffene schreckt das ab. Dabei geht es ihnen nicht nur um Geld, sondern um Respekt und Sichtbarkeit. Das Urteil im Fall Herr A. zeigt: Es lohnt sich, für Rechte einzustehen – auch wenn der Weg mühsam ist. Es braucht Mut, Ausdauer und oft auch Unterstützung durch Organisationen wie den Klagsverband oder BIZEPS.
Ein persönlicher Moment, der Geschichte schreibt
Das betroffene Restaurant erklärte gegenüber der APA, man nehme die Bedürfnisse aller Gäste ernst. Bereits nach der Beschwerde – also noch vor dem Prozess – habe man laut eigenen Angaben „minimale Adaptierungen“ vorgenommen. Man betonte, dass separate, rollstuhlgerechte Toilettenräume stets vorhanden gewesen seien – ein Umbau sei daher nicht notwendig gewesen. Der Fachverband Gastronomie in der Wirtschaftskammer Österreich äußerte sich ebenfalls. Man unterstütze Betriebe umfassend bei der Erfüllung der gesetzlichen Anforderungen. Gleichzeitig wies man auf mögliche Hürden hin, etwa durch Denkmalschutz. Trotzdem sei das Ziel klar: größtmögliche Barrierefreiheit für alle. Das Urteil unterstreiche, wie ernst dieses Ziel genommen werden müsse – auch aus rechtlicher Sicht.
Für den Restaurantbesucher war der Jahrestag ein Tiefpunkt. Aber auch ein Anfang. Aus einem Moment der Ohnmacht wurde ein rechtlicher Sieg. Und mehr noch: ein Symbol. Denn es geht nicht nur um ein Restaurant. Es geht um den Platz, den Menschen mit Behinderungen in dieser Gesellschaft einnehmen dürfen – oder eben nicht. Der Fall zeigt, dass Gleichstellung nicht auf dem Papier endet. Dass es echte, spürbare Veränderung braucht – und sie auch möglich ist. Drei Stufen waren es, die den Kläger vom WC trennten. Jetzt sind sie zum Stolperstein für jene geworden, die Barrierefreiheit zu lange ignoriert haben.