Trinkgeld: Ein Danke mit Folgen

Anne Marie Bakendire

(c) iStock/BartekSzewczyk

Salzburg, März 2025. Im Traditionsbetrieb Sternbräu herrscht Fassungslosigkeit. Nach einer Betriebsprüfung durch die Finanzbehörde und die Österreichische Gesundheitskassa (ÖGK) flattert ein Bescheid ins Haus: 100.000 Euro Nachzahlung – wegen nicht korrekt versteuerter Trinkgelder. Der Grund? Die Servicemitarbeiter:innen hatten laut Behörde mehr verdient, als über die pauschale Trinkgeldregelung vorgesehen war.

Das Urteil trifft wie ein Schlag. Denn was eigentlich als Zeichen der Wertschätzung gedacht ist – ein paar Euro extra vom Gast – wird plötzlich zur finanziellen Bedrohung. Nicht nur für den Betrieb, sondern auch für die ganze Branche.

Wenn Dankbarkeit teuer wird

Ein Gast zahlt nach einem netten Mittagessen mit Karte – wie so oft – und gibt ein großzügiges Trinkgeld dazu. Ein Zeichen der Anerkennung, spontan und aus vollem Herzen. Vielleicht war der Service besonders herzlich, das Essen schnell am Tisch, der Kaffee genau richtig heiß. Ein Danke – mehr soll es nicht sein.

Doch Monate später ist dieses Danke Teil eines offiziellen Bescheids. Teil einer Summe, die rückwirkend nachversteuert werden muss. Ein paar Euro, gut gemeint, verwandeln sich im Nachhinein in einen Auslöser für existenzielle Sorgen. Für viele in der Branche fühlt sich das an wie eine stille Falle: Das, was einst für Motivation und Menschlichkeit stand, wird nun zum Risiko – für Gäste, für Betriebe, für die Menschen, die diesen Beruf mit Leidenschaft ausüben.

Ein System, das zu strafen beginnt

Ein Urteil des Bundesfinanzgerichts (BFG) legt Anfang des Jahres fest: Übersteigt das Trinkgeld 25 % des Bruttolohns, ist es nicht mehr „ortsüblich“ – und somit steuer- und sozialversicherungspflichtig. Besonders problematisch: Kartenzahlungen lassen sich leicht nachvollziehen. Und damit auch die Höhe des erhaltenen Trinkgelds.

Die Folge? Rückwirkende Zahlungen, Unsicherheit, Angst. Viele Gastronom:innen berichten von plötzlichen Forderungen, hohem bürokratischem Aufwand und fehlender Klarheit. Die bisherigen Pauschalbeträge – wie z. B. 43 Euro pro Monat und Mitarbeiter:in – reichen oft nicht mehr aus. Was bleibt, ist Frust auf beiden Seiten: bei Arbeitgeber:innen, die für freiwillige Zahlungen haftbar gemacht werden, und bei Beschäftigten, deren Motivation sinkt.

Martina Haslinger-Spitzer, designierte Obfrau des Fachverbands Gastronomie, fordert deshalb eine dringende Neubewertung der Trinkgeldregelung:

Die Trinkgeldregelung gehört definitiv evaluiert – aber mit Maß und Ziel.

Martina Haslinger-Spitzer

Ihr Anliegen: kleinere Betriebe dürfen unter der neuen Praxis nicht zusammenbrechen. Gerade dort, wo Studierende, Teilzeitkräfte oder Saisonpersonal beschäftigt sind, spielt Trinkgeld eine zentrale Rolle im Einkommen.

Man darf den Kellner:innen bzw. seinen Mitarbeitern nicht einfach so in die Tasche greifen.

Martina Haslinger-Spitzer

Auch Arbeitgeber:innen sieht sie in der Zwickmühle. Sie können kaum kontrollieren, wie viel Trinkgeld über Kartenzahlung tatsächlich beim Personal landet – und sollen nun für diese Beträge rückwirkend haften?

Der Ruf nach einer einheitlichen , fairen Lösung

Während die Regeln sich ändern, bleibt die Realität im Service dieselbe: Die Arbeit beginnt früh, endet spät, ist körperlich fordernd. Und nun kommt Bürokratie dazu.

Die derzeitige Praxis ist alles andere als einheitlich. Von Bundesland zu Bundesland gelten unterschiedliche Regelungen. Die ÖGK kontrolliert verstärkt, während sich viele Betriebe im bürokratischen Nebel verlieren. Auch die Gewerkschaft vida spricht sich für eine sozialversicherungsrechtliche Einbindung von Trinkgeldern aus – doch solange es keine praktikablen Modelle gibt, geraten ausgerechnet jene unter Druck, die ohnehin am Limit arbeiten.

Die Bundesregierung (ÖVP, SPÖ, NEOS) hat inzwischen angekündigt, die Trinkgeldregelung zu überarbeiten. Gespräche mit Branchenvertreter:innen sind für Anfang Mai angesetzt.

Mehr als ein Geldbetrag

Trinkgeld ist ein Symbol. Für gute Arbeit, für Menschlichkeit, für den einen Moment am Tisch, der zählt. Es erinnert uns daran, dass Gastronomie kein Selbstläufer ist – sondern lebt von Menschen, die täglich ihre Energie, ihre Zeit, ihr Lächeln geben.

Ein System, das diesen Menschen misstraut und sie für Dankbarkeit bestraft, entfernt sich von der Wirklichkeit. Was es braucht, ist eine Regelung, die nicht kontrolliert, sondern schützt. Die nicht bestraft, sondern würdigt. Denn wenn die Menschen im Mittelpunkt stehen, profitiert am Ende die ganze Gesellschaft.