In einer Welt, in der kulinarische Trends oft globalisiert und austauschbar wirken, verfolgt Norbert Niederkofler einen anderen Weg – einen, der tief in den Dolomiten verwurzelt ist. Seine Küche ist kein Ort für Effekthascherei, sondern ein Raum für Haltung: geprägt von alpiner Strenge, Respekt gegenüber der Natur und einer klaren Vision von Nachhaltigkeit, lange bevor das Wort zur Branchenfloskel wurde. Dass er heute mit drei Michelin-Sternen und einem Grünen Stern ausgezeichnet ist, ist nicht nur ein Beweis für exzellentes Handwerk, sondern vor allem für einen radikalen Perspektivwechsel: weg von der internationalen Luxusgastronomie, hin zu einer Küche, die das eigene Terroir ernst nimmt. Im Gespräch erzählt Niederkofler von seiner frühen Neugier, den entscheidenden Momenten seiner Rückkehr nach Südtirol und warum echte Innovation immer mit einer Rückbesinnung beginnt.
Wie hat Ihre Kindheit in den Dolomiten Ihre Entscheidung beeinflusst, Koch zu werden, und wie prägt diese Herkunft Ihre heutige Küchenphilosophie?
Mein Traum war es schon immer, zu reisen und die Welt zu entdecken. Genau deshalb bin ich Koch geworden. Dieser Beruf hat mir nicht nur die Möglichkeit, sondern auch das große Glück geschenkt, jeden Kontinent der Welt zu bereisen. Die Berge haben mich einerseits beschützt – andererseits aber auch meine Neugier geweckt: Was liegt wohl dahinter?
Sie haben internationale Erfahrungen in Städten wie London, Zürich und New York gesammelt. Was hat Sie letztendlich dazu bewogen, nach Südtirol zurückzukehren und dort Ihre Karriere fortzusetzen?
Die Jahre im Ausland waren für mich eine schöne und prägende Zeit. Nach Südtirol bin ich eher durch einen Zufall zurückgekehrt – ursprünglich mit dem Plan, nur eine Saison zu bleiben. Am Ende waren es jedoch mehrere Faktoren, die den Ausschlag gaben, hier zu bleiben. Einer davon war sicherlich das Projekt im Hotel Rosa Alpina, wo ich nach meiner Rückkehr zu arbeiten begann. Wir hatten große Ambitionen und starteten bei null – mit viel Leidenschaft und Vision.
Ihr Konzept ‘Cook the Mountain’ betont die Verwendung lokaler und saisonaler Zutaten. Welche Herausforderungen und Vorteile bringt dieser Ansatz mit sich, insbesondere in einer alpinen Region?
Mit „Cook the Mountain“ haben wir ein Konzept entwickelt, das in seiner Art einzigartig und unvergleichlich ist. Wir haben 2008 damit begonnen – zu einer Zeit, als noch kaum jemand über „Nachhaltigkeit“ sprach. Der Grund, warum ich Cook the Mountain geschrieben habe, war ganz einfach: Ich hatte es satt, überall auf der Welt das Gleiche zu essen. Die Gäste, die zu uns ins Restaurant kamen, waren international. Als ich sie fragte, was sie sich von ihrem Aufenthalt bei uns erwarten, lautete ihre Antwort fast immer: die frische Luft, die Berge – und das Essen. Das war der Moment, in dem mir klar wurde: das was ich mache ist falsch hier. Denn die Küche, die ich damals kochte, hätte man genauso gut in New York oder London servieren können, da ich natürlich alles was ich dort gelernt hatte mit nach Südtirol nahm. Mit Cook the Mountain haben wir uns dann selbst strenge Regeln auferlegt – und das war alles andere als einfach, besonders am Anfang. Es hat fast fünf Jahre gedauert, um eine funktionierende Lieferkette mit lokalen Bauern und Produzenten aufzubauen. Am Ende aber hat sich dieser Weg als der richtige erwiesen. Die Entscheidung von Michelin, uns 2017 mit drei Sternen auszuzeichnen – für eine Küche, die ganz bewusst auf sogenannte “Luxusprodukte” verzichtet – war ein großer, bedeutender Schritt.
Das Atelier Moessmer befindet sich in einer historischen Villa der Tuchfabrik Moessmer. Wie kam es zu dieser Zusammenarbeit, und welche Bedeutung hat dieser Ort für Ihr kulinarisches Schaffen?
Die Tuchfabrik Moessmer gehört zu den ältesten und renommiertesten Herstellern von Loden und hochwertigen Stoffen. Ich wohne ganz in der Nähe der Villa und der Fabrik – jahrelang bin ich täglich daran vorbeigefahren, auf dem Weg zur Arbeit. Damals lag die Villa in einer Art Dornröschenschlaf, und schon damals dachte ich: Wie schön wäre es, diesem Ort neues Leben einzuhauchen. Als dann vom Hotel Rosa Alpina die Entscheidung kam, den Betrieb aufgrund von Umbauarbeiten vorübergehend zu schließen, habe ich die Gelegenheit genutzt: Ich setzte mich mit Paul Oberrauch, dem Präsidenten der Tuchfabrik Moessmer, zusammen – und so begannen die ersten konkreten Gespräche über ein mögliches gemeinsames Projekt.
Nachhaltigkeit spielt eine zentrale Rolle in Ihrer Arbeit. Wie integrieren Sie Prinzipien der Nachhaltigkeit konkret in den Alltag Ihres Restaurants und Ihrer Küche?
Nachhaltigkeit war – und ist – für mich und für uns immer ein zentrales Thema. Heute jedoch steht für mich noch etwas anderes im Vordergrund: Respekt. Respekt gegenüber den Menschen, mit denen wir zusammenarbeiten – sei es unseren Mitarbeitern, den Bauern oder Produzenten. Und vor allem: Respekt gegenüber der Natur. Ich bin überzeugt; wenn der Respekt da ist, kommt die Nachhaltigkeit ganz von selbst.
Mit drei Michelin-Sternen und einem Grünen Stern ausgezeichnet zu sein, ist eine außergewöhnliche Leistung. Wie beeinflussen diese Auszeichnungen Ihre zukünftigen Ziele und Projekte?
Drei Michelin-Sterne sind für viele Köche und Köchinnen ein Lebenstraum – sie gleich zwei Mal zu erhalten, und das mit zwei verschiedenen Restaurants, ist etwas ganz Besonderes. Mit der Einführung des grünen Michelin-Sterns im Jahr 2020 hat Michelin einen wichtigen Schritt gemacht: Erstmals wurden auch Konzepte ausgezeichnet, die auf Respekt und Nachhaltigkeit setzen – in der Küche, im Umgang mit Menschen und in der Verantwortung gegenüber der Natur. Doch all das ist nur möglich mit einem starken Team im Rücken. Im Atelier Moessmer sind das unter anderem Lukas Gerges, unser Restaurantleiter und Head-Sommelier, sowie Mauro Siega, unser Executive Chef. Beide sind seit über acht Jahren an unserer Seite und leiten heute eigenverantwortlich den Betrieb und ihre Teams. Ich selbst bin natürlich immer präsent – um zu unterstützen, dort wo es gerade gebraucht wird. Gleiches gilt für das AlpiNN am Kronplatz oder unser Büro, wo inzwischen ein strukturiertes Team die gesamte Organisation und Koordination übernimmt. Um an 365 Tagen im Jahr Spitzenleistung zu bringen, braucht es jede einzelne Person – mit Leidenschaft, Einsatz und einem gemeinsamen Ziel.
Welche Ratschläge würden Sie jungen Köchinnen und Köchen geben, die eine nachhaltige und lokal verwurzelte Küche anstreben?
Generell würde ich sagen: Neugier ist entscheidend – der Drang, Neues zu lernen, und die Bereitschaft, Fehler als Teil des Weges zu akzeptieren. Mit dem nötigen Respekt gegenüber der Natur und den Menschen ist eine nachhaltige Küche auf jeden Fall möglich – nicht als Konzept, sondern als gelebte Haltung. Ebenso wichtig ist es, die eigenen Wurzeln und Traditionen zu kennen und wertzuschätzen. Denn echte Innovation entsteht nur aus dem Verständnis für das, was war – und wird durch Tradition überhaupt erst greifbar.