Parvin Razavi: Geprägt habe ich mich selbst!

Dominik Köhler

Küchenchefin Parvin Razavi ©Michael Koenigshof

Im Interview mit Gastro.News spricht die Küchenchefin und Gault&Millau Newcomerin des Jahres 2023 Parvin Razavi über Frauenpower in der Gastronomie, ihren Führungsstil und die Bedeutung von hochwertigen Produkten im Restaurantbetrieb des &flora.  

Gastro.News: Gratuliere, Du wurdest vom Gault&Millau zur Newcomerin des Jahres 2023 ausgezeichnet. Hast Du damit gerechnet?
Razavi:
Man wird vorab über die Auszeichnung informiert, damit noch Zeit bleibt, um ein Video von sich, den Kolleginnen und Kollegen, sowie dem Betrieb zu drehen. Ich habe mich natürlich wahnsinnig darüber gefreut. Für mich und mein gesamtes Team.

Gastro.News: Wusstest Du von den drei Hauben?
Razavi:
Darüber habe ich vorab keine Information bekommen. Insgeheim habe ich aber schon gedacht, dass wir mindestens eine oder zwei Hauben bekommen. (lacht)

Gastro.News: Die Messlatte für die kommenden Jahren ist auf jeden Fall hoch angesetzt.
Razavi:
Stimmt. Aber ich halte die drei Hauben für absolut angemessen und finde, dass es ganz wichtig ist, dass auch Frauen mit solchen Auszeichnungen vor den Vorhang geholt werden. Und das eben nicht an der Seite eines Mannes.

Gastro.News: Hat sich die Rolle der Frau in der Gastronomie in den letzten Jahren verändert?
Razavi: Mir ist wichtig, dass man den Erfolg von uns Frauen in der Branche nicht als Trend bezeichnet. Das ist nämlich falsch. Es muss normal sein, auch als Frau in der gehobenen Gastronomie wahrgenommen, respektiert und geschätzt zu werden. Außerdem müssen Rahmenbedingungen geschaffen werden, um mehr von uns für die Branche zu begeistern.

Gastro.News: Welche Probleme dahingehend sind ein absolutes NO-GO?
Razavi:
Ganz klar Sexismus, Mobbing, Ausgrenzungen egal ob gegenüber Mann oder Frau dürfen in der Arbeit keinen Platz haben.

Präzision und Liebe bei jedem Handgriff ©Michael Koenigshof

Gastro.News: Hast Du in Deiner beruflichen Vergangenheit Erfahrung mit diesen Themen machen müssen?
Razavi: Leider ja. Das habe ich. Ich habe Männer erlebt, die einfach keinen Respekt davor gehabt haben, dass ich eine körperliche Privatsphäre habe. Die mir zu nahegekommen sind und die natürliche Distanz einfach ignoriert haben. Das geht gar nicht. Damals habe ich mich mit Erfolg verbal gewehrt. Aber wie könnte das ein 16- oder 17-jähriges Mädchen. Darum ist es so wichtig, dass im Team alle aufeinander schauen und Missstände angesprochen, nicht ignoriert werden.

Gastro.News: Im &flora wird auf ein respektvolles Miteinander geachtet. Hast Du die richtigen Leute dafür selbst gefunden und ausgewählt?
Razavi:
Ja, komplett. Ich habe Leute gesucht, die zu mir und zu unserem Konzept passen. Menschen, mit denen ich eine Vision teile und die mit mir am Erfolg des Restaurants arbeiten. Die Bewertung vom Gault&Millau zeigt, dass wir bisher vieles richtig gemacht haben.

Gastro.News: Deine erste Wirkungsstätte, die mit drei Hauben ausgezeichnet ist, ist es aber nicht.
Razavi:
In der Hausbar habe ich an den drei Hauben mitgekocht. Damals aber als Doppelspitze. Die Hauben haben wir im Lockdown bekommen, nachdem ich aber nicht mehr ins Team zurückgekehrt bin. Darum hat es sich damals ganz anders angefühlt.

Gastro.News: Heute hast Du das Kommando. Wie würdest Du Deinen Führungsstil in der Küche beschreiben und worauf kommt es an?
Razavi:
Ich habe einen soziologischen Background und sehr basisdemokratische Grundwerte. Meine Kinder waren in freien Schulen, die elternverwaltet waren und Autonomie und Selbstreflexion lehrten. Das sind Aspekte, die mir wichtig sind. Bis heute setze ich mich daher stark mit den Persönlichkeiten der Köchinnen auseinander. Bei Feedbackrunden sprechen wir offen über Anliegen und Bedürfnisse. Das ist sehr hilfreich. Und natürlich dürfen auch der Spaß und die Freude bei der Arbeit nicht fehlen.

Gastro.News: Wie verhält es sich im &flora mit der sogenannten Hierarchiepyramide?
Razavi:
Bei mir darf sogar ein Lehrling Gerichte pitchen. Eines von ihr hat es sogar auf die Frühstücks-Karte geschafft. Es braucht den Raum und Rahmen seine Kreativität ausleben zu können. Egal welche Position man inne hat. Ich definiere das Kochen als Kunst, meine Kunst! Und innerhalb dieser möchte ich mich frei bewegen können. So kann Großartiges entstehen.

Frauenpower in der Küche des &flora ©Michael Koenigshof

Gastro.News: Wie zum Beispiel?
Razavi:
Also, ich finde es ist keine Kunst Kaviar anzurichten oder Leberpastete und Hummer zu kochen. Mit solchen Produkten gelingt es schnell Eindruck zu machen. Hervorragend bist du aber, wenn du es schafft, mit Unscheinbarem zu überraschen. Ich bin beeindruckt, wenn mit simplen Produkten aufregende Gerichte kreiert werden, die gerne auch ohne Fleisch auskommen. Denn die Auseinandersetzung mit Gemüse ist oft viel schwieriger, als ein gutes Stück Fleisch anzubraten.

Gastro.News: Trotzdem gibt es im &flora Fleisch auf der Karte.
Razavi:
Das stimmt, obwohl die eine Hälfte meines Herzens gerne ganz darauf verzichten würde. Aber dann gibt es die andere Hälfte, die sagt, dass viele Gäste kommen, die als Begleitung gerne ein Stück Fleisch essen möchten. Die alte Milchkuh, die wir verarbeiten, ist ein absolutes Spitzenprodukt. Mehr als Salz kommt da nicht dran.

Gastro.News: Wie ist es mit Eurem veganen Angebot?
Razavi:
Meine Gerichte sind oft so aufgebaut, dass es reicht, eine Komponente wegzulassen, um es als vegane Speise anzubieten. Wir hatten beispielsweise ein Tatar, das war bis auf den Kleks Mayonnaise oben drauf vegan. Zu sehr lasse ich mich aber nicht einschränken und Butter ist einfach was Geiles.

Gastro.News: Worauf kommt es Dir bei der Wahl der verarbeiteten Produkte an?
Razavi:
Das Gemüse oder die Zutat, die ich verwende, bringt im Idealfall viel Geschmack mit, der ja schon im Boden beginnt. Wir arbeiten nach dem „From Farm to Table“-Prinzip, das heißt, Sonntagabend bestelle ich, Montag kommt das Produkt aus der Erde und wird gewaschen, bevor es dann am Dienstag bei mir in der Küche ankommt. Dazwischen gibt es keinen Qualitätsverlust. Das ist mir wichtig.

Gastro.News: Gibt es ein Produkt, ein Lebensmittel, das Du besonders gern verarbeitest?
Razavi:
Ich liebe alles, was aus der Erde kommt. Ich bin total erdverhaftet. Rote Rüben fallen mir dazu ganz spontan ein. Und ich liebe Granatapfel. Das ist zwar konträr, aber der Granatapfel gehört einfach zu mir dazu.

Genuss für Gaumen und Auge ©Michael Koenigshof

Gastro.News: Welches Produkt kommt nicht auf Deine Karte?
Razavi:
Die Avocado passt nicht zu uns und unserer Philosophie. Darum verwenden wir sie nicht.

Gastro.News: Neben „From Farm to Table“ wird im &flora auch „From Root to Leaf“ gekocht, wie darf man das verstehen?
Razavi: Wir haben das Glück von den Bauern immer das ganze Produkt zu bekommen. Im Supermarkt ist das ja anders. Bei uns sind Blätter, Wurzeln und alles, was dazugehört, mit dabei. Das sind tolle Teile, die sich für ganz viel in der Küche eignen. Wir fermentieren beispielsweise die Wurzeln oder servieren das Produkt im Ganzen. Das ist auch für den einen oder anderen Gast ein Aha-Erlebnis. Für uns ist das ein Zeichen der Wertschätzung dem Produkt gegenüber und den Menschen, die dahinter stehen.

Gastro.News: Erfüllt Ihr in dieser Hinsicht eine Art Vorbildfunktion?
Razavi: Viele Restaurants arbeiten in den Mistkübel rein. Das habe ich auch bereits erlebt. Da wird nur ein kleiner Teil genommen, der zuvor perfekt zugeschnitten wurde, und der Rest landet im Müll. Das hat mich schon damals schockiert. Mittlerweile hat aber ein Umdenken stattgefunden, zumindest bei einigen. Die Abschnitte werden dann zum Beispiel für das Personalessen verwendet, statt weggeschmissen.

Gastro.News: Wie streng sind Deine Kontrollen von dem, was im Mülleimer landet?
Razavi: Ich achte sehr darauf und hole ganz oft Sachen zurück. (lacht) Dann sage ich immer, das ist doch noch gut und lässt sich wunderbar verarbeiten. Diese Einstellung wurde mittlerweile von meinem gesamten Team stark verinnerlicht. Wir leben in einer Zeit, in der Ressourcen nicht unbegrenzt zur Verfügung stehen. Darum können wir es uns alle nicht leisten, so verschwenderisch zu sein.

Gastro.News: Welche Deiner beruflichen Stationen haben Dich auf dem Weg ins &flora besonders geprägt?
Razavi:
Am meisten geprägt habe ich mich selbst. Natürlich habe ich viel gelernt und Techniken aufgeschnappt. Die Küche, die ich hier definiert habe, ist aber das, was ich immer machen wollte und auch so gut es eben ging gemacht habe. Also im Rahmen meines Werdens. Richtig glücklich war ich zu meiner Zeit im Dogenhof. Dort kocht man auf offener Feuerstelle. Analog. Mit Produkten von den Lieferanten, mit denen ich immer arbeiten wollte. Die größte Freude habe ich nämlich, wenn ich das frische Gemüse meiner Lieferanten sehen. Das ist so ungemein inspirierend.

Beste Produkte, die im Ganzen verarbeitet werden ©Michael Koenigshof

Gastro.News: Hast Du Lieferanten ins &flora mitgenommen?
Razavi: Ja. Aber auch neue kennengelernt. Bei Krautwerk war ich sehr glücklich, dass ich noch aufgenommen wurde. Die beliefern ja wirklich nur die Besten der Stadt. Und die Dirndln vom Feld finde ich auch super cool. Die machen Raritäten- und Bio-Gemüse. Auch Grünzeug und Blün habe ich sehr gern. Die sind alle nicht weit weg und auch die persönliche Ebene spielt eine wichtige Rolle. Man kennt die Menschen, die dahinter stehen.

Gastro.News: Der Kontakt zu den Lieferanten ist Dir sehr wichtig, wie steht es mit dem zu Deinen Gästen?
Razavi: Ich gehe gerne zu meinen Gästen. Und ich merke natürlich auch, dass es ganz anders ankommt, wenn ich oder eine Person aus dem Küchenteam die Gerichte serviert und am Tisch erklärt. Weil wir natürlich jeden Schritt und auch die Metaebene kennen. Viel passiert im Hintergrund, Geschmäcker, die sich zeitlassen und eine Gefühlsebene ansprechen. Das ist hoch komplex und wird durch die Erklärung nachvollziehbarer. Immer rausgehen kann ich aber nicht. Dafür fehlt mir einfach die Zeit.

Gastro.News: Wohin gehst Du gerne Essen, wenn Du gerade nicht im &flora bist?
Razavi: Ab und an gehe ich gerne ins Loup Garou und ins Café Kandl. Wo eben alle Gastronomen gerne hingehen. (lacht) Ich habe zwei Kinder und richte mich gerne auch nach deren Wünschen.

Gastro.News: Geht Ihr dann auch manchmal etwas feiner essen?
Razavi: Machen wir natürlich auch. Ich finde es ist wichtig, dass sich die Kinder mit Dingen auseinandersetzen, die sie nicht kennen. Für mich ist Essen Allgemeinwissen und die gehobene Gastronomie öffnet dahingehend einfach neue Perspektiven und Erkenntnisse. Auch die Innereien Küche probieren wir aus. Beide sind sehr offen, auch wenn natürlich nicht alles schmeckt. Hauptsache wir haben es probiert.

Gastro.News: Was schätzt Du an einem gemeinsamen Essen?
Razavi: Essen ist und war schon immer ein Ritual, das die Menschen verbindet. Umso schöner ist es dann, wenn man gut essen kann.

Gastro.News: Vielen Dank für das Gespräch!

&flora
Adresse: Breite Gasse 9, 1070 Wien
Telefon: +43 1 523 13 45
Website: Hotel Gilbert

Ein Ort zum Wohlfühlen ©Michael Koenigshof