Rainer Christ führt das Weingut Christ mit über 400 Jahren Familientradition am Wiener Bisamberg – vom einstigen Bauernhof zum Vorreiter im nachhaltigen Weinbau. Im Interview erzählt er, wie aus der Spezialisierung auf den Wiener Gemischten Satz ein starkes Bekenntnis zur Regionalität und Biodiversität wurde. Er spricht offen über die Herausforderungen des Klimawandels, die Bedeutung biologischer Bewirtschaftung und seine Vision, Wien als einzigartiges Weinbaugebiet zukunftsfähig zu gestalten. Ein faszinierender Einblick in die Verbindung von Geschichte, Innovation und Verantwortung.
Herr Christ, Sie führen ein traditionsreiches Weingut mit teilweise sehr alten Rebstöcken. Wie hat sich Ihr Betrieb im Laufe der Jahre verändert?
Rainer Christ: Seit rund 400 Jahren ist die Familie Christ tief in der Landwirtschaft verwurzelt. Ursprünglich war es ein bunt gemischter, kleiner Bauernhof. Ab den 80er Jahren haben meine Eltern begonnen, die Spezialisierung auf den Weinbau voranzutreiben. Sie übernahmen den Bauernhof und verabschiedeten sich sukzessive von Ackerbau und Viehzucht. Ich selbst bin seit 2006 für das Weingut verantwortlich, und dieser Weg wurde konsequent weitergeführt. Damals gab es schon ausschließlich Wein, doch die Bedeutung war eine rein regionale. In den vergangenen knapp 20 Jahren hat sich viel getan – zahlreiche großartige Lagen am Wiener Bisamberg sind hinzugekommen, und auch unser Portfolio ist stark gewachsen. Heute sind wir viel breiter aufgestellt – die Regionalität und der lokale Markt bleiben enorm wichtig, doch mittlerweile spielt sich vieles auch auf nationaler und internationaler Bühne ab. Man könnte sagen: Wir tanzen aktuell auf mehreren Hochzeiten.
Was bedeutet es Ihnen persönlich, ein Weingut zu führen – im Spannungsfeld zwischen Herkunft und Inflation?
Rainer Christ: Für mich ist es ein Privileg, ein Weingut in Wien zu führen. Weltweit gibt es viele großartige Weinbauprojekte, aber es gibt nur ein einziges Weinbaugebiet, das sich in einer Hauptstadt befindet. Und nur sehr wenige haben hier die Möglichkeit, Rebflächen zu bewirtschaften. Ich darf auf vielen historischen Lagen arbeiten – es ist die Wiege des mitteleuropäischen Weinbaus, mitten in einer Großstadt, die bis heute kultivierbar geblieben ist. Das ist ein echter Schatz. Gerade in Zeiten wie diesen bringt uns das einen enormen Vorteil. Denn in den großen Agrarregionen werden oft riesige zusammenhängende Flächen bewirtschaftet – bei uns in Wien ist das eher ein „Fleckerlteppich“, kleine Parzellen über den ganzen Berg verteilt. Das ist natürlich arbeitsintensiv, aber bei zunehmend unberechenbarem Wetter ist diese Vielfalt ein großer Vorteil. Sie sorgt für Risikostreuung, hohe Individualität der Lagen – und somit auch bei den Weinen.
Welche Rebsorten bilden das Herzstück Ihres Weinguts – und warum?
Rainer Christ: Mit Abstand der bedeutendste Wein bei uns ist der Wiener Gemischte Satz. Er war lange in Vergessenheit geraten und erlebt seit rund 20 Jahren ein bemerkenswertes Comeback. Heute ist er die wichtigste Form des Weinmachens – nicht nur bei mir, sondern im gesamten Wiener Weinbau. Alle Kollegen setzen inzwischen darauf – es ist das absolute Aushängeschild. Bereits 2006 haben wir als erste Wiener Winzerei wieder neue Gemischte Sätze gepflanzt und seitdem ausschließlich diese bei Neuanlagen verwendet. Das zeigt unser klares Bekenntnis zu diesem extrem regionalen Wein. Besonders faszinierend in Zeiten wie diesen: Der Gemischte Satz ist ein Weinbauprojekt mit maximaler Biodiversität. Der Fokus liegt nicht mehr auf einer einzigen Rebsorten-DNA über tausende Quadratmeter, sondern auf bunten, selbstregulierten Gärten – äußerst ressourcenschonend und spannend.
Was macht den Wiener Gemischten Satz für Sie so besonders?
Rainer Christ: Genau – für mich ist der Gemischte Satz weit mehr als ein populärer Wein. Es ist das spannendste landwirtschaftliche Projekt überhaupt. Gerade weil er sich selbst reguliert, Ressourcen schont und resistenter gegenüber großflächigen Schadbildern ist. Ein bunter Garten ist Monokulturen klar überlegen. Nicht jede Pflanze braucht zur gleichen Zeit dieselben Nährstoffe vom Boden – das macht ihn so ressourcenschonend. Die Reben schöpfen aus einem vielschichtigen Universum, das in monokulturellen Anlagen gar nicht möglich wäre – durch die unterschiedlichen Wurzelarchitekturen vieler Rebsorten entsteht ein breites, vielfältiges Nährstoffspektrum. Das Comeback des Gemischten Satzes macht Wien zum Weinbaugebiet mit der höchsten Bio-Quote der Welt – ein Beispiel dafür, wie Biodiversität viele Probleme vermeidet. Für mich ist der Wiener Gemischte Satz das Trainingsmodell der Landwirtschaft der Zukunft.
Sie sprechen von landwirtschaftlichen Projekten – gibt es mehrere Ansätze?
Rainer Christ: Der Gemischte Satz ist heute unser wichtigster Wein, aber es gibt natürlich auch herausragende reinsortige Weine – sowohl in Wien als auch in ganz Österreich. Gerade im Zuge klimatischer Veränderungen müssen wir unsere Arbeit im Weingarten und die Auswahl unserer Lagen kritisch hinterfragen. Weinbau funktioniert nicht nach Rezept. Mein Job ist ein wenig wie der eines Regisseurs – nur sind meine Stars keine Schauspieler, sondern Weintrauben am Bisamberg. Diese sind jedes Jahr anders, beeinflusst von der Witterung. Es ist meine Aufgabe, ihre Besonderheiten zu erkennen, sie „vor den Vorhang“ zu holen – das gelingt nur durch genaues Beobachten und Hinhören. Die Natur gibt den Rahmen vor, und wir müssen flexibel darauf eingehen.
Gab es einen Jahrgang, der Sie besonders geprägt hat – sei es im positiven oder im herausfordernden Sinn?
Rainer Christ: Es gibt mittlerweile viele Jahrgänge, die mich bewegt oder besonders gefordert haben. In den letzten Jahren hatten wir auffallend viele warme bis sehr warme Jahrgänge – im historischen Vergleich. Das zeigt, dass Rezepte aus der Vergangenheit oft nicht mehr die Lösungen von heute sind. Daher sind Überlegungen zum Bodenmanagement, Laubwandmanagement, zur Lese und Traubenverarbeitung heute zentral. Wein zu machen ist wie ein Mosaik: viele kleine Puzzlesteine müssen zusammenpassen, um ein stimmiges Gesamtbild zu ergeben. Man darf kein Detail ausklammern – vom Anbau bis zur Verarbeitung muss alles hinterfragt und verstanden werden, um daraus die richtigen Schlüsse zu ziehen.
Wie setzen Sie das Thema Nachhaltigkeit im Weinbau konkret um?
Rainer Christ: Ich habe 2014 die ältesten Bio-Flächen der Stadt übernommen und mit dieser Übernahme den gesamten Betrieb auf biologische Bewirtschaftung umgestellt. Das Weingut Christ ist seit Jahren zu 100 % bio-zertifiziert. Wir kaufen keine Trauben aus konventionellen Anlagen zu – Bio ist für mich eine logische Konsequenz. Gemeinsam mit einigen Kollegen betreibe ich auch ein Mentoring-Programm, das kleinere Betriebe in Produktion und Anbau unterstützt – insbesondere auf dem Weg zur Umstellung auf Bio. In Wien haben wir heute weltweit führende Standards. Mein Ziel ist, dass Wien das erste Weinbaugebiet der Welt wird, in dem der biologische Anbau den konventionellen überholt.
Gibt es neue Methoden oder Technologien, die Sie derzeit testen oder weiterentwickeln?
Rainer Christ: Natürlich gibt es immer wieder neue Entwicklungen – entscheidend ist aber, ein tiefes Verständnis für die Abläufe zu entwickeln und sich von den Rezepturen der chemischen Industrie zu verabschieden. Diese versprechen oft: „In diesen Abständen spritzen, dann habt ihr keine Sorgen.“ Ich denke, das ist nicht mehr zeitgemäß. Wer naturnah arbeitet – egal unter welchem Label – muss genau hinschauen, gezielt helfen, wo Hilfe gebraucht wird, und nicht routinemäßig nach Kalender Maßnahmen setzen. Diese Zeiten sind vorbei.
Der Name „Christ“ steht nicht nur für Sie persönlich, sondern auch für die Marke. Wie würden Sie die Identität dieser Marke beschreiben?
Rainer Christ: Mir ist wichtig, dass unsere Marke für Produkte von hoher Qualität steht – verbunden mit einem Höchstmaß an Verlässlichkeit. Wenn Qualität nur eine Eintagsfliege ist, macht das auf Dauer niemanden glücklich. Beständigkeit und hohes Niveau dürfen kein Widerspruch sein – im Gegenteil. Das ist unser Anspruch: Mit jedem Produkt – ob einfach, mittelgewichtig oder Spitzenwein – wollen wir in seiner Kategorie ganz vorne mitspielen. Dieser Anspruch soll auf jeder Flasche mit dem Label Weingut Christ sichtbar, spürbar und erlebbar sein – national wie international.
Wie gelingt Ihnen der Spagat zwischen traditionellem Winzerhandwerk und modernem Markenauftritt?
Rainer Christ: Für mich schließt das eine das andere nicht aus. Hohe Qualität braucht ein routiniertes Handwerk – aber auch die richtige Portion Innovation. Das geht Hand in Hand. Das kleine Einmaleins darf man nicht vergessen, und gleichzeitig hat Wein etwas Magisches, Künstlerisches. Er konserviert nicht nur die Ressourcen einer Region oder eines Jahrgangs, sondern verbindet das mit der Vision von Menschen – und das bleibt über Jahre und Jahrzehnte erhalten. Das kann nur Wein.
Worauf legen Sie beim Design Ihrer Flaschen besonderen Wert?
Rainer Christ: Klarerweise ist das ein wichtiger Punkt. Unsere Philosophie beim Design ist ein hochwertiges Erscheinungsbild ohne Schnickschnack. Ich will nicht auftreten wie ein Energy-Produkt, das zwei Jahre gehypt wird und dann verschwindet. Es soll etwas Langlebiges und Wertiges sein – ohne Spielereien, mit hochwertigen Materialien. Wir verwenden ausschließlich handgeschöpfte Naturpapiere, ohne Lacke oder sonstige Beschichtungen – geprägt mit dem Christ-Wappen, das für jahrzehntelange Verlässlichkeit steht. Schlicht, aber hochwertig.
Wie haben sich die Erwartungen Ihrer Kunden im Lauf der Zeit verändert – oder sind sie gleich geblieben?
Rainer Christ: Wenn die ersten tollen Bewertungen kommen, wird ein Kunde aufmerksam. Wiederholt sich das, wird man irgendwann ein Geheimtipp. Wenn es dann weitergeht – mit einer soliden, prosperierenden Entwicklung – wird man zu einem Benchmark. Dort wollen wir hin, dort wollen wir bleiben – und wir werden nicht locker lassen, denn es gibt immer etwas zu tun. Unser Wachstum zielt heute weniger auf Volumen als vielmehr auf Qualität. Wir wollen Prozesse und Lagen noch besser verstehen – und damit unsere Weine weiter verfeinern. Das hat bereits Früchte getragen: Das Weingut Christ wurde als erstes Wiener Weingut zum Winzer des Jahres 2025 gekürt.
Gibt es eine Weinlinie oder Edition, die besonders gut beim Publikum angekommen ist?
Rainer Christ: Unser Sortiment gliedert sich in drei Kategorien – und alle drei sind wichtig. Die Einstiegsweine sollen für jedermann und jeden Tag geeignet sein – viel Frische, viel Freude, zugänglich im Preis. Dann gibt es jene Linie, die mir besonders am Herzen liegt: Weine, die unsere Herkunft – den Bisamberg – widerspiegeln. Gemischter Satz, Riesling, Muskateller, Zweigelt – sie alle repräsentieren die Sonnenseite des Wiener Weinbaus. Und schließlich die Spitze: die Filetstücke des Bisambergs. Weine, die sich im Premiumsegment auch international behaupten können. Die Entscheidung liegt beim Konsumenten – ob ein guter Alltagswein, eine ambitionierte Qualität für besondere Anlässe oder ein echter Grand Cru.
Was wünschen Sie sich für die Zukunft des Weinguts Christ?
Rainer Christ: Mein Wunsch ist, dass wir auch künftig Rahmenbedingungen vorfinden, die Weinbau in dieser Stadt ermöglichen – ohne große Hürden, mit Emotion und Elan für den Wiener Wein. Mein zweiter Wunsch ist, dass die Entwicklung in Richtung biologische und nachhaltige Bewirtschaftung so breit wird, dass wir in ein paar Jahren tatsächlich sagen können: 100 % der Wiener Weingärten werden auf höchstem Standard bewirtschaftet. In meinem Betrieb ist das längst Realität – aber wir sind nicht allein. Vielleicht gelingt es uns mit Überzeugungsarbeit, noch mehr Betriebe mit ins Boot zu holen. Das wäre eine großartige Entwicklung.