Spitze am Spitzerberg: Dorli Muhr holt erstmals 98 Parker-Punkte für einen österreichischen Rotwein

Marko Locatin

Österreichs "Rotwein-Queen" Dorli Muhr und Lekkermeister Lukas Brandstätter. Bild: Anna Stoecher

“Wein-Guru” Robert Parker vergibt sensationelle 98 Punkte an Dorli Muhrs “Ried Spitzerberg – Obere Spitzer 1ÖTW 2022”. Marko Locatin hat mit Österreichs “Rotwein-Queen” über ihre Prima Ballerina, Parker-Punkte und alkoholfreien Wein gesprochen. “Nur über meine Leiche”, sagt Muhr.

Wir kennen einander von Messen, Verkostungen und vom ÖTW Single Vineyard Summit, wo Muhrs PR-Agentur Wine+Parners stets für reibungslose Abläufe, sowie das Wohl der zahlreichen heimischen und internationalen Gäste sorgt. Daher haben wir vereinbart, beim Du zu bleiben. 

GastroNews: Herzliche Gratulation! 98 Punkte für einen Blaufränkisch sind schon, verzeih mir den ungehobelten Ausdruck, ein Hammer, oder?

Dorli Muhr: In der Tat ist es eine hohe Auszeichnung. Weniger als 300 Weine aus der ganzen Welt wurden bei Robert Parker, der dieses Jahr bisher mit 98, 99 oder 100 Punkten bewertet. Also wir befinden uns da jetzt wirklich an der Weltspitze, mit den größten Namen der Weinbranche.

Ok, aber macht es wirklich den großen Unterschied, ob ein Wein 95 oder 98 Punkte hat?

Ich finde das besonders wichtig, weil es das erste Mal ist, dass ein Österreichischer ROTwein bei Parker so hoch bewertet wurde. Der Schritt von 97 (voriger Jahrgang 2021) auf 98 ist punktemäßig nur ein kleiner – für den Österreichischen Rotwein aber ein sehr sehr großer. Denn Rotweine aus Ö stehen nun auch bei Parker auf Augenhöhe mit Österreichs Weissweinen. Das ist ein ganz wichtiger Shift in der Wahrnehmung unseres Landes. Ich predige schon seit Jahren: Österreich wird ein Rotweinland, und wir sollten uns – genau wie Burgund – als eine Herkunft präsentieren, die Rot und Weiss auf gleichem Top Niveau kann. (Anmerkung: Hier lesen sie den Bericht über den 100-Punkte-Weißwein aus der Wachau).

95-97 Punkte: Höchsbewertungen gab es auch für die anderen Einzellagen vom Spitzerberg.
Bild: Anna Stöcher

Bei der letzten Verkostung hatte ich “Obere Spitzer” ganz vorne. Er ist, nicht nur für mich, offenbar noch ‘nen Tick höher zu bewerten als die deine anderen, ebenfalls hoch bewerteten Einzellagen. Was macht ihn, was macht sein Aromaprofil so besonders? 

Obere Spitzer ist für mich die Perfektion des Spitzerberg. Das liegt einerseits an der Trockenheit der Lage, an der kalksteinigen Mineralität und an den alten Reben. Der Wein hat eine unglaubliche Energie, viel Kraft, viel Spannung, viel Druck, aber kein Gramm Fett. Ich vergleiche ihn daher sehr gerne mit einer Primaballerina, die Pirouetten tanzt. Sehr fokussiert, extreme Präzision, viel Muskeln, und dabei unendlich schlank. Diese Vertikalität kann man nicht im Keller fabrizieren, da braucht man zuerst eine außergewöhnliche Lage.  

Apropos Keller: Wie erfolgt der Ausbau?

Wir vinifizieren jeden Wein vollkommen identisch. Vom Einstiegswein Carnuntum, über den Ortsweine bis hin zu den Einzellagen. Alle Weine sind zu 30 Prozent fußgestampft, zu 50 % mit den Stielen vinifizert, spontan vergoren. Alle lagern zwei Jahre lang im großen Holzfass und in der Flasche noch ein weiteres Jahr, bevor wir sie freigeben. Das ist ein sehr kostenaufwändiger Vorgang für den Einstiegswein (18 Euro), aber es ist uns wichtig, dass man in den Weinen die Terroirs nachvollziehen kann, und deswegen müssen sie vollkommen ident gemacht werden. Andernfalls würde man über die Unterschiede der Vinifizierung reden und diese schmecken. Das finde ich absolut langweilig und uninteressant.

„Dorli Muhr is the woman who kissed the Spitzerberg awake“, liest man im Wine Advocate. Was macht den Spitzerberg in seiner Gesamtheit denn so besonders? 

Der Hang liegt extrem windexponiert in diesem Korridor zwischen Alpen und Karpaten. Das Urmeer hat hier dicke Kalkschichten angebrandet, die nun in Form von Kalksand die Böden ausmachen. Diese Böden können kaum Feuchtigkeit speichern, und bei uns regnet es ohnehin schon extrem wenig. Dazu die hohen Sommertemperaturen und 300 Tage Wind im Jahr. Das sind sehr extreme Bedingungen, die zu sehr kleinen Erträgen führen (in manchen Parzellen habe ich einen Ertrag von 900 Flaschen von einem Hektar) – gleichzeitig sind die Weine aber nie schwer, weil durch die fehlende Feuchtigkeit die Reben weniger photosynthesieren. Also viel Dichte, viel Spannung, gleichzeitig aber mit einer bewundernswerten Grazilität. Eben: wie eine Primaballerina.

Wann sind die Weine trinkreif, wie lange sollen sie reifen? 

Wenn man gerne junge Rotweine trinkt, kann man gerne schon nach drei Jahren die Flasche öffnen. Sie wird jedenfalls Freude bereiten. Noch größer aber ist die Freude nach 8 bis 10 Jahren. Jetzt ist zum Beispiel 2015 grandios. Kühlere Jahre sind schon früher balanciert, etwa jetzt der 2016er oder sogar 2020.

Now for something completely different: Alkoholfreier Wein ist trendig. Wobei es nicht der Weisheit letzter Schluss sein kann, den Wein über die Grenze zu bringen, um ihm im benachbarten Ausland Alkohol zu entziehen, um ihn im wahrsten Sinne des Wortes ernüchtert hier wieder abzuladen…

Entalkoholisierter Wein ist ein Industriegetränk, das eine schlimme CO2 Bilanz hat und selten gut schmeckt. Das Wichtigste aber ist, dass Wein ein wunderbares Tool des Zusammenseins darstellt. Eine Flasche trinkt man nicht alleine, sondern meistens sitzen mehrere Menschen gemeinsam am Tisch. Dieses soziale Element des Weines kann eine extreme Bedeutung für unsere Gesellschaft haben. Und das ist auch das Argument, das wir diesen unsäglichen Sober-Aktivisten entgegenschleudern müssen.  Wer bitte möchte ohne Freunde, ohne Lachen, ohne Geselligkeit leben? Die besten Cholesterinwerte nützen nichts, wenn du depressiv wirst. Ich habe einen TED- Talk zur sozialen Bedeutung von Wein gehalten, mit dem Titel „Die Bedeutung des analogen Genießens“. Ich finde, dass unsere Branche – und da zählt die Weinproduktion ebenso dazu wie die Gastro – eine wichtige psychologische Betreuungsaufgabe in unserer Gesellschaft hat. (Anmerkung: Hier geht es zum zum Talk: https://www.youtube.com/watch?v=zoxuW3002Y4).

Es wird also nie eine alkoholfreien Spitzerberg geben?

Nur über meine Leiche!

Ein perfektes Schlusswort. Herzliche Gratulation nochmals – und danke vielmals für das ausführliche Gespräch!

Weitere Informationen

Der ÖTW Single Vineyard Summit 2025 findet vom
8.-12- September in Grafenegg statt.

Mehr Infos: www.wine-partners.at